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Bezahlbaren Wohnraum schaffen!

Der Tübinger Gemeinderat hat im Januar 2018 das Programm "Fairer Wohnen" beschlossen. Ziel ist die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum. Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen nennt im nachfolgenden Text Hintergründe, Ziele und Begründungen für dieses Programm.

"Tübingen, Top-Lage, 160 m2 Penthouse mit Stadtblick, KM 4800 Euro." Das ist leider kein Witz, solche Angebote findet man auf den Online-Portalen. In den begehrten Städten ist Wohnen zum Luxus geworden. Eine Krankenschwester oder ein Polizeibeamter kann sich in Tübingen keine Mietwohnung und schon gar kein Eigentum mehr leisten. Das bedroht die Grundfesten unseres Gemeinwesens.

 

Bezahlbarer Wohnraum: Die aktuelle soziale Frage

 

Bezahlbaren Wohnraum anzubieten, ist diesoziale Frage der Gegenwart. Die Landesregierung hat immerhin erkannt, dass wir wieder geförderte Wohnungen bauen müssen. Wir haben aber in den letzten 15 Jahren die Hälfte aller Sozialwohnungen in Baden-Württemberg verloren, weil sie aus der Preisbindung gefallen sind. Auch die nun wieder verstärkte Förderung wird auf Jahre hinaus nicht ausreichen, diesen Verlust zu kompensieren.

 

Ohnehin hat der Anstieg der Mieten auf breiter Front das Problem in die Mittelschicht verschoben. Selbst wenn wir genügend Sozialwohnungen für alle Menschen mit Mietberechtigungsschein anbieten könnten, wäre das Problem nicht gelöst. Was also ist zu tun?

 

Was tun?

 

Der Mainstream von FDP über Haus und Grund bis zum Koalitionspartner glaubt, wir hätten ein Mengenproblem. Es werde zu wenig gebaut. Das stimmt auch, und trotzdem wird man das Problem durch Neubau allein nicht lösen.

 

Erstens ist der Neubau viel zu teuer. Vorschriften haben daran einen kleinen Anteil. Viel entscheidender ist die volle Auslastung der Bauwirtschaft, die ihre Preise teilweise um mehr als 10% pro Jahrzehnt erhöht. Noch mehr Tempo geht kaum und treibt die Preise weiter nach oben.

 

Zweitens zieht es die Menschen und die Investoren in die urbanen Quartiere in den Städten. Stadtentwicklung ist aber ein langwieriger Prozess mit der Bürgerschaft. Seelenlose, schnell hochgezogene Betonburgen am Stadtrand lösen kein Problem, sie schaffen nur neue.

 

Und drittens ist es eine Frage der Zeit. Es dauert ein Jahrzehnt, durch Neubau so viel Angebot zu schaffen, dass die Preise wieder fallen könnten. Realpolitisch nutzt das also gar nichts. Der wahre Grund für die Explosion der Miet- und Wohnungspreise auf breiter Front und nicht nur im Neubau ist schlicht und ergreifend ein Überfluss an Kapital.

 

Die Nullzinspolitik der EZB hat dazu geführt, dass gigantische Summen in Immobilien gesteckt werden. Allein im Jahr 2017 sind über 30 Milliarden ausländisches Kapital in deutsche Immobilien geflossen. Die Investoren rechnen dabei immer aus, welche Rendite sich unter Nutzung von Mieterhöhungspotenzialen erzielen lassen. Und dann wird die Miete eben erhöht so weit wie es geht. Aus diesem Grund sind weitere Mieterhöhungen schon jetzt beschlossene Sache.

 

Mietpreiskontrolle einführen

Wenn es stimmt, dass wir einfach nur erleben, wie die Zinspolitik der EZB eine Inflation der Werte von Immobilien erzeugt, dann gibt es dagegen nur ein Mittel: Preiskontrolle. Das ist nicht neu, Konrad-Adenauer und Ludwig Erhard haben in Zeiten der Mietpreiskontrolle regiert. Einfach gesagt: Wir müssen die Regelungen der Mietpreisbremse jetzt auch durchsetzen. Mieterhöhungen dürfen nicht mehr ohne Zustimmung erfolgen, Vermietungen über dem Mietspiegel müssen untersagt werden. So lange der Bund den Kommunen dieses Instrument nicht in die Hand gibt, können wir nur bestimmte Segmente des Marktes schützen.

 

Tübingen hat sich mit dem Programm "Fairer Wohnen" auf den Weg dahin gemacht. Wir wollen Neubaugebiete nur noch auf städtischen Grundstücken ermöglichen. Für alle Neubaugebiete soll der Mietspiegel die Obergrenze sein, mindestens die Hälfte aller Wohnungen soll 20-30% günstiger als der Mietspiegel sein. Planrecht gibt es nur noch, wenn diese Bedingungen erfüllt werden. Der Gemeinderat hat einen Grundsatzbeschluss gefasst, im Laufe des Jahres sollen die notwendigen Konkretisierungen folgen.

 

Wem das jetzt alles zu links ist, kann ich nur sagen: Das Problem liegt offen zu Tage, entscheidend ist, dass wir eine Lösung finden. Mein Vorschlag wäre ein drastischer Eingriff, aber damit ließe sich das Problem in den Griff bekommen. Wer eine mildere Antwort findet, möge sie beschreiben. Bis jetzt kenne ich aber nur Vorschläge, die weit davon entfernt sind, die notwendige Wirkung zu entfalten. Sich damit zufrieden zu geben, weil eine vorhandene Lösung nicht ins eigene Weltbild passt, ist einfach zu wenig.

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