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Lassen Sie uns miteinander reden.

Ich will über etwas Schönes, etwas Erfreuliches schreiben. Etwas wie: Ich freue mich, dass so wichtige Dinge wie Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit in so kurzer Zeit so viel an Bedeutung und medialer Zugkraft gewonnen haben. Aber ich bremse mich hierzu gleich selber wieder ein. Jahrelang sind das schon wichtige Themen gewesen und auf der Regierungsbank verhielt man sich ruhig, behutsam und zurückhaltend – hat das Thema aufgeschoben, bis sich die ersten überraschenden Prognosen mehrten und es mit einem Mal klar wurde, dass die Grünen – jungen Wilden – Protestpartei – Atomkraftgegner – geräuschlos und mit geschlossenen Reihen einen historischen Schritt vollziehen würden. Eine Kanzlerkandidatin. Nein, überhaupt einen Kandidaten für das Amt der Bundeskanzlerin.

 

Eine Frau, die eine sehr schöne, inspirierende Rede zur Bekanntgabe ihrer Kandidatur hielt und etwas aufzeigte, was zumindest mir jetzt eine sehr lange Zeit gefehlt hatte. Einen Ausblick, eine Perspektive – einen Plan. Den Gedanken, wie wir aus dieser für uns alle zwischenmenschlich aber auch arbeitstechnisch belastenden Zeit einen Weg in eine bessere, nachhaltigere Gesellschaft ebnen können. Eben nicht durch Verbote, bloßen Verzicht oder die Abgabe persönlicher Freiheiten – nein, durch cleveren Strukturwandel, technologischen Fortschritt und einen neuen, frischen Blick auf die Herausforderungen, die vor uns liegen. Etwas, dass jede/jeden vor die Wahl stellt, ob sie/er sich im Gedanken an den Status Quo damit abfindet, dass doch eigentlich alles ganz gut läuft oder man im Hinblick auf die großen Fragen unserer Zeit und der kommenden Generationen nicht doch nach einem Angebot greifen möchte, das vor allem einmal Neues verspricht. Veränderung. Keine halbgaren Versprechen, die im Eifer von Umfrageergebnissen, die die Wichtigkeit des Themas Klimaschutz unterstreichen, mit heißer Nadel gestrickt werden.

 

Es gibt diese Konzepte. Zum Teil schon sehr und erschreckend lang, aber sie werden zurückgestellt, verschoben oder bis zur Unkenntlichkeit aufgeweicht. „Schwer vermittelbar“ heißt es dann, „dem Wirtschaftsstandort Deutschland schadend“ oder schlicht „zu teuer“. Allerdings macht man es sich damit sehr leicht und in Anbetracht der zu erwartenden Folgekosten durch den Klimawandel zu einfach. Mir fehlt die Gegenüberstellung, das offene Wort darüber, gerne auch die Diskussion – aber nicht diese grenzenlos scheinheilige Debatte über steigende Benzinpreise, die von der amtierenden Regierung schon längst BESCHLOSSEN wurden. In Anbetracht der aktuellen Lage und der zunehmenden Bedeutung dieser Thematik gibt es kaum einen besseren Zeitpunkt als jetzt anzupacken und das, als die Käpsele, die wir hier im Ländle sind und schon immer waren, als Chance zu begreifen mit Innovation und neuen Ideen für eine nachhaltige, gerechtere Arbeitswelt zu sorgen. Und dabei auch gleichzeitig den Jüngeren, die ihre Prüfungen schreiben, sich in der Findungs- oder Wartephase für ihr Studium befinden oder einfach nur glücklich darüber sind Stück für Stück wieder in ihre Kitas und Schulen zurückkehren zu können, ein Signal zu geben.

 

Dass wir sie nicht vergessen haben. Dass uns nicht egal ist, in welcher Welt unsere Kinder und Enkelkinder morgen leben. Und dass wir dafür auch nicht den „Motor unserer Wirtschaft abwürgen“ müssen, wie es manche so gerne behaupten. Es geht um Augenmaß, Vernunft und ja, vielleicht auch eine Spur von Demut. Der Erfindungsreichtum des Menschen ist nahezu grenzenlos und das hat uns die Pandemie schon in so vielen Dingen bewiesen. Und wenn wir jetzt im Zuge dieser schwierigen Rahmenbedingungen die Ärmel hochkrempeln und uns jetzt wirklich und ernsthaft Gedanken über ein besseres Morgen machen, dann können wir daran wachsen, davon bin ich überzeugt. Als Gesellschaft. Aber lassen Sie uns über Inhalte reden. Über das, was wirklich wichtig ist. Über das, was Sie und uns bewegt. Ich habe das Gefühl, dass wir alle schon viel zu lange nicht mehr richtig miteinander gesprochen oder einander zugehört haben.

 

Ich möchte über etwas Schönes schreiben … ja, es gibt dieses Angebot. Nicht ein mutloses und ideenbefreites „Weiter so“, das wie ein grober Entwurf ein paar Dinge umreißt aber in keinem Detail wirklich konkret wird. Und genau das brauchen wir jetzt: den bereits erwähnten, neuen und frischen Blick auf die Dinge, die uns im „Danach“ erwarten. In der Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder. Aber euch ehrliche, mutige Auseinandersetzungen mit den Sachfragen, vor denen sich viele aktuell verstecken und wegducken, indem sie alte und schon immer kursierende Ammenmärchen über einen angeblichen grünen Dirigismus ausgraben und beschwören. Sie müssen wirklich Angst haben … vor dem Wandel, vor einem Wechsel und ja, vor allem vor einem Machtverlust, wenn sie eine dermaßen plumpe und schäbige Drohkulisse aufbauen, die eben nicht auf Fakten basiert, sondern schon an echte Scheinheiligkeit grenzt, nachdem man es jahrelang versäumt, nein, ignoriert hat, dass diese ganzen Themen – Klimawandel, Generationengerechtigkeit, Wohnungsnot usw. – nicht erst seit gestern auf dem Tisch liegen.

 

Sprechen Sie mit uns, treffen Sie uns, stellen Sie uns die Fragen, die Ihnen auf der Seele brennen, aber lassen Sie uns reden. Nicht übereinander, sondern miteinander. Und das ist etwas Schönes und nach dieser Zeit das Wichtigste, was wir tun können.

 

Ulf Oehmichen

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