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Tschernobyl zeigt: Raus aus der Atomkraft!

Heute vor 36 Jahren, am 26. April 1986, explodierte im Atomkraftwerk Tschernobyl der Reaktor Nummer 4. Dieser Unfall erschütterte die Welt. Gewaltige Mengen radioaktiven Materials gelangte ins Freie und verstrahlte weite Teile von Europa.

 

Viele Menschen starben oder leiden noch heute unter den Langzeitfolgen als Folge dieses Reaktorunfalls. Pilze und Wildfleisch sind in Deutschland bis heute noch belastet.

Vor zwei Monaten haben russische Truppen das in der Ukraine gelegene AKW-Gelände von Tschernobyl mit vielen Tonnen Atommüll angegriffen. Dieser Atommüll braucht permanente Kühlung, wenn es nicht zu einem neuen Super-Gau kommen soll. Zu einer neuen Atom-Katastrophe ist es zwar Gott sei Dank nicht gekommen, aber das Risiko bleibt extrem groß.

 

Wir hatten gedacht, dass nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima und dem danach von der Bundesregierung beschlossenem Ausstieg aus der Atomkraft das Thema Atomkraftwerke zumindest für Deutschland erledigt sei. Jetzt wird aber unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit diskutiert, ob die drei noch laufenden Atomkraftwerke, darunter eines in Neckarwestheim, noch über das vereinbarte Laufzeitende im Jahr 2023 weiter betreiben werden sollen. Argumentiert wird von den Befürwortern der Verlängerung mit mehr Unabhängigkeit von russischen Gasimporten. Der ehemalige Ministerpräsident und frühere EU-Energiekommissar Günther Oettinger ist ein Anheizer dieser Diskussion. Neckarwestheim und Oettinger! Da müssen wir uns aus dem Kreis Ludwigsburg melden!

 

„Wir mussten akzeptieren, dass er seine Zeit als EU-Energiekommissar nicht genutzt hat, die Energiegewinnung Europas unabhängiger von Diktaturen und fossilen Brennstoffen zu machen, aber wenigstens Putins völkerrechtswidriger Krieg sollte dazu führen, dass alle Verantwortlichen nun den Ausbau der erneuerbaren Energien forcieren und nicht mit den Rezepten aus dem letzten Jahrhundert die Probleme der Gegenwart lösen wollen“, sagte Kreisrat Jürgen Walter.

 

Bescheidener Beitrag der Atomkraft zur Stromerzeugung

Wer sich in den letzten Jahren mit den Strukturen und Fakten der Energiegewinnung auseinandergesetzt hat, weiß, dass Atomkraftwerke und Gas auf völlig unterschiedliche Weise zur Energiegewinnung beitragen. So importierte Deutschland im Jahr 2020 netto rund 860 Terrawattstunden (TW h) Erdgas. Etwa zwei Drittel des importierten Erdgases – rund 570 TW h – stammten aus Russland. In den Jahren zuvor ist der Anteil stetig angestiegen und lag dabei im Mittel bei rund 50 Prozent. Der Hauptanteil des in Deutschland benötigten Erdgases wird direkt verbrannt, etwa um Gebäude zu heizen oder um hohe Temperaturen bei der Lebensmi ttel- oder in der Chemieproduktion zu erzeugen. Lediglich rund 19 Prozent (!) – 188 TW h – des Erdgases wird benutzt, um daraus Strom zu erzeugen. Es stellt sich daher die Grundsatzfrage, ob wir Erdgas überhaupt ersetzen können, indem wir die Atomkraftwerke länger laufen lassen?

 

Der Großteil des Erdgases, das in Gebäuden für die Wärmeerzeugung oder als Prozessgas in der Industrie eingesetzt wird, kann nicht durch Atomkraftwerke substituiert werden. Denn: Von den erwähnten 188 TW h, die wir in Deutschland zur Gasverstromung nutzen, entfallen circa 120 TW h auf Kraft-W ärme-Kopplungsanlagen (KW K), die nicht nur Strom, sondern auch Fernwärme für Heizung und warmes Wasser oder Prozesswärme für die Industrie erzeugen. Die Atomkraftwerke würden höchstens die Stromerzeugung ersetzen, nicht aber die Wärmeproduktion. „Kernkraftwerke können somit die Funktion der KWK-Anlagen gar nicht übernehmen, weil sie keine für diese Prozesse nutzbare Wärme produzieren“, sagte Grünen-Fraktionsvorsitzende Brigitte Muras.

 

Aus diesen Zahlen ergibt sich, dass de facto von den 188 TW h Stromerzeugung aus Erdgas nur ein Segment von rund 70 TW h aus Gaskraftwerken verbleibt, das nur Strom produzieren und damit theoretisch ersetzt werden könnte. Dies entspricht etwa einem Zehntel des gesamten aus Russland importierten Erdgases. Allerdings haben diese Gaskraftwerke eine besondere Funktion im Energiemarkt und für die Stromnetze, so Muras: „Denn sie springen sehr flexibel ein, wenn der Wind nicht weht oder die Sonne nicht scheint und gleichen mögliche Stromlücken kurzfristig aus. Ein AKW ist für solche flexiblen Einsätze nicht einmal ansatzweise geeignet, da es nicht innerhalb von wenigen Minuten hoch und heruntergefahren werden kann.“ Die Funktionen der Gaskraftwerke für die Stabilisierung der Stromversorgung können Atomkraftwerke also nicht ersetzen. Die in einer Studie des Bundesverbandes der Energiewirtschaft (BDEW) errechneten 6 TW h (von insgesamt 860!) Gas, die letztendlich von Atomkraftwerken tatsächlich ersetzt werden können, könnten durch andere Lieferwege oder noch besser durch Einsparungen kompensiert werden.

 

Atomkraftkraftwerke wegen Russland-Ukraine-Krieg weiter laufen lassen? Nein!

Wir finden es sehr befremdlich, wenn ausgerechnet jetzt, wo uns der Russland-Ukraine-Krieg die Gefahren von Atomkraftwerken sehr drastisch aufzeigt, über eine Atomkraftwerk-Renaissance geredet wird.

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